Halle – Berlin 1989 – 1997

„Jemand brachte damals einen Satz von Carver mit — in einem Moment fühlen wir dieses und im nächsten etwas völlig anderes; uns ging es ähnlich und zu wissen, dass es anderen so gehen könnte, war wie eine Boje, die im Zwielicht aufleuchtet, dann wieder erlischt. Tröstlich. Aber ohne Zusammenhang, ohne jede Konsequenz. Markus wohnte damals eine WeiIe lang Knaack Ecke Kolmarer. ln der Kommandantur wurden im März die Tische auf die Straße gestellt und niemand wäre auf die Idee gekommen, nach Feierabend die Stühle aneinander zu ketten, es gab auch gar keinen Feierabend, wir tranken unentwegt, rauchten Lucky Strike, heftiges Gras von Balkonen dazu, manchmal bekam einer Schwarzen Afghanen geschenkt, der im Tabak versenkt wurde wie eine heiße Nadel. Die Straßen gehörten selbstverständlich uns. Die Häuser, ihre kaputten Fassaden, dunklen Aufgänge, Außenklos, Kachelöfen und gesperrten Balkone, alles gehörte uns, die Mauersegler gehörten uns, die Gaslaternen und die Litfaßsäulen, das Kopfsteinpflaster, die Stunde, der Tag …“

Judith Hermann